Montag, 24. Oktober 2016

Ratur, imaginiert. Entstehen und Vergehen.

Mit freundlicher Genehmigung durch Rittiner & Gomez


Ratur erblickte einen Mann, der in einem von Licht gefluteten Atelier über ein Stück Papier gebeugt an einem Tisch saß. Den Bogen weißes Aquarellbütten hatte er mit Klebestreifen auf der Tischplatte fixiert und in unterschiedlich große Fenster eingeteilt. Unter dem feinen Strich eines Bleistifts erstanden Striche, Linien, Konturen. Er feuchtete das Papier an, dann griff der Mann zu einem Pinsel aus Marderhaar, feuchtete auch diesen an. Nahm Farbe auf, Blau, dass die Zwischenräume der Haare des Pinsels sich satt sogen daran. Kaum berührte er mit der Spitze des Pinsels das feuchte Papier, begann die Farbe aus dem Pinsel heraus das Papier zu fluten, floss die Fasern entlang, erfüllte sie, verlor sich im Weiß des Büttens und …

Kater?

Ratur schaute sich um, doch konnte er den Kater nirgendwo entdecken. Wahrscheinlich imaginierte der gerade und war nicht abkömmlich. Dann sah Ratur an sich selbst hinab und bemerkte, dass er in Auflösung begriffen war. Er transzendierte, gerade so, wie es zuvor dem Kater widerfahren war, als Ratur dessen Existenz in Frage stellte.

Kater?

Von irgendwo her eine Stimme:

Keine Bange, Ratur. Er imaginiert. Dich. Da habe ich wenig hinzu zu tun und keinen Einfluss. Mag sein, dass er auch ein wenig Kater imaginiert, dir zur Seite vielleicht, vielleicht auf deinen Schoß – ich weiß es nicht.

Kater?

Nimm es hin, wie es kommt, wie es ist, Ratur, du kannst eh herzlich wenig Einfluss darauf nehmen.

Wie kommt er dazu …

Er las von dir, imaginierte, und nun vergegenwärtigt er dich, sich selbst und anderen.

Er vergegenwärtigt mich? Ich verliere mich, siehst du das nicht? Wie kann ich da … sein?

Auch ich bin nicht, nicht hier. Vielleicht werde ich noch mehr als eine Idee. Entspann dich, Ratur.
Das war leichter gesagt als getan. Ratur sah sich transzendieren, seine Konturen lösten sich auf, derweil sah er das Weiß des Büttenpapiers schwinden und wie es sich anfüllte mit Farbe und amorphen Konturen.

Der Mann verließ den Tisch und ging aus dem Zimmer. Von der offen stehenden Tür her hörte Ratur Wasser fließen, Porzellan und einen Löffel darin klingen. Auf dem Tisch verdunstete das Wasser aus der unter dem Streichen des Pinsels entstandenen Szene, das Papier trocknete allmählich auf, die Farben verloren an Glanz, ihr Fließen kam zum Stillstand. Der Mann kehrte zurück, griff wieder zu Pinsel und Farbe. Arbeitete die Szene aus, fügte Farbe und Tiefe hinzu, lehnte sich zurück, betrachtete sein Werk und blickte Ratur in die Augen, die er auf dem Papier hatte entstehen lassen.

Und der Kater?


Raturs Gegenüber hatte ihn zwar imaginiert, vergegenwärtigt, sich selbst, doch auf Ratur Lites Fragen gab er keine Antwort. Vielleicht konnte er ihn nicht hören.

Kater?



Kater! Wie geschieht mir? Was geschieht mit mir?

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