Dienstag, 12. Juli 2016

Finden und Verlieren

Mit freundlicher Genehmigung durch Rittiner&Gomez, Spiez, CH


Draußen - nichts zu sehen. Ratur griff sich den leichten Rucksack vom Gepäckträger, verstaute seine Siebensachen, ließ das Rad stehen und lief suchend, den Rucksack über die Schulter gelegt, auf die Straße.
Stadteinwärts, den Bürgersteig hinab, machte er zwischen den unscharfen Silhouetten eine aus, die nicht wie die anderen zielstrebig dahineilte. Aus der Ferne betrachtet wirkte sie wie Treibgut im Spiel der Wellen, das zwar der Strömung folgte und doch, aus der Balance geraten, von einem Wellental ins nächste geworfen wurde.

Ratur schritt weit aus, ihr nach. Vorbei am Stadtpark, auf die Fußgängerzone zu. Noch eine Ampelkreuzung, dann hatte er sie erreicht. Zwischen den bei rot Wartenden wirkte sie verloren. Stand mit den anderen, schaute, rieb sich bei gekreuzten Armen die Oberarme, wandte sich um. Ihr musste kalt sein. Trat, die Schultern hochgezogen, von einem Bein aufs andere. Wenigstens war sie nicht mehr barfuß, trug Leinenslipper. Niemand schenkte ihrem fahrigen Ausdruck Beachtung, eher schon wich man einen Schritt beiseite. Sacht legte Ratur ihr seine Hand auf die Schulter:

Hallo!

… und erschrak: Ihre Augen weiteten sich, den Arm vor dem Kinn angewinkelt presste sie zwischen den Zähnen hervor:

Hau ab!

… wischte ihr Handrücken Ratur entgegen. Ein Passant stutzte. Grün. Die Wartenden liefen los, sie hinterdrein. Ratur folgte zögernd. Versuchte es erneut, leise, lächelte:

Heute Nachmittag, am Strand!

HAU … AB!


Unverhofft machte sie kehrt, die Ampel sprang auf rot, sie lief auf die Fahrbahn, ein Auto bremste scharf, Hupen, Schimpfen, sie überquerte die Straße und lief den Weg zurück. Ratur stand ratlos. Die Angestellten des Billigmarkts an der Ecke räumten die Auslagen zurück ins Geschäft. Ratur griff sich eine weiße Decke aus Fleece, ging die zu bezahlen ins Geschäft und querte mit der nächsten Grünphase die Kreuzung. Von der Frau im blauen Kleid keine Spur.

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