Montag, 8. August 2016

Der Rote

Mit freundlicher Genehmigung durch Rittiner & Gomez, Spiez, CH
In Gedanken versunken stapfte Ratur die Stiegen zu seiner Stadtwohnung hinauf. Zog die Tür hinter sich ins Schloss, schaltete das Licht in der Küche an – und stutzte: Vor ihm saß ein roter Kater. Auf dem Küchentisch. Blinzelte ihn an.

Na, wo kommst denn du her?

Blinzeln.

Nicht, dass Ratur etwas gegen Katzen hatte, die sich auf dem Küchentisch tummeln, vielmehr verwunderte ihn der Anblick des Katers, weil er gar keine Katze in seinem Haushalt beherbergte.

Hungrig?

Blinzeln.

Ratur deckte den Tisch ein, packte seinen Einkauf aus dem Discounter hinzu, holte Milch aus dem Kühlschrank, goss davon ein wenig in eine Untertasse, schob diese in die Mitte des Tisches und schenkte sich selbst vom Rotwein ein. Sein Gast flanierte derweil schnurrend über die Tischplatte, strich Raturs Arme entlang und rieb sein Köpfchen an allem und jedem, was Ratur auf den Tisch stellte. Als Ratur sich hinzu setzte, lief er zur Milch, tunkte seine Zunge hinein und trank, setzte ab, blinzelte Ratur an, trank wieder und setzte sich dann Ratur gegenüber, der ein Stück vom Baguette geschnitten hatte und einen Streifen Käse, von dem er abbiss.

Käse?

Blinzeln.


Ratur brach ein Stückchen ab, reichte es seinem Gegenüber und fühlte es unter beherzten Bissen aus den Fingerspitzen schwinden. Kaum hatte der Kater das Käsestückchen gefressen und noch eins und noch eines, baute er sich wieder vor Ratur auf, einer Sphinx gleich, blinzelte und schien bereit, ein Rätsel zu stellen. Ratur genoss derweil sein Abendbrot und betrachtete seinen Gast. Selten grün funkelten dessen Augen, tiefgründig schwarze Pupillen rundeten sich im matten Schein der Küchenlampe. Sein Fell wirkte gepflegt, tiefes Orange, getigert, als ob ein Glas Milch auf die Brust ausgegossen war und sich von dort verlor, den Bauch hinab und dann in feinen Rinnsalen wieder die Rippen hinauf.


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