Mittwoch, 27. Dezember 2017

Ein Gedicht

Mit freundlicher Genehmigung durch Rittiner&Gomez, Spiez, CH


„Da war ein Mann,“ Tarik lehnte sich im Stuhl zurück und es schien, als würde er sich zum einen konzentrieren und doch zugleich verlieren, irgendwo hinter dem Blick seiner dunklen Augen,
„der schrieb ein Gedicht über die Liebe, eine Liebe, seine, die er im Arm hielt unter einem Pflaumenbaum.“

„Brecht!“
Milla erinnerte sich:
„Erinnerung an die Marie A.“, lächelte sie.

„Ja“, erwiderte Tarik ihr Lächeln, „und eine Wolke war da, die im Wind verging …“

„Wie das Glück?“
Milla hatte eine Idee und verwarf sie wieder. Die Torte sollte eine Liebe zum Thema haben, nicht das Glück.

„Die Erinnerung an die Wolke war, was die Zeit überdauerte, nicht das Glück, nicht die Liebe …“
Tarik beugte sich über den Tisch, Milla entgegen, und sah ihr tief in die Augen:
„ … aber die Erinnerung an die Wolke ist, was die Liebe, was das Glück jenes Augenblicks, der doch schwand wie die Wolke im Wind, wachruft und neu entstehen lässt, als sei es jetzt da, jetzt – über alle Zeiten hinweg und, wenn auch ebenso flüchtig wie damals, unauslöschlich.“

„Mmh!“ Milla erkannte, dass ihre Idee gar nicht einmal so schlecht war.
„Wie deine Torte, Milla!“
„Meine Torte?“
„Die Erinnerung an deine Torte. Wie sie aussah, wie sie schmeckte, und wie man beieinander saß und
das junge Glück auf ewig festhalten wollte.“

„Wie alt, Tarik, bist du eigentlich, dass du so klug bist und so viel weißt?“
„Jung bin ich, Milla, und alt bin ich auch.“
„Musst du nicht allmählich heim?“
„Nein, Milla, kann ich bei dir bleiben heute?“
„Deine Eltern werden sich sorgen!“
„Nein, das werden sie nicht. Sie wissen, dass ich bei dir bin. Und alles ist in bester Ordnung.“
„Gut, wenn das so ist, bleibst du – aber gleich morgen Früh gehen wir zu deinen Eltern und du wirst mich ihnen vorstellen, ja?“
„Ja!“
„Gut. Doch jetzt backen wir eine Torte, eine mit Pflaumenbaum und einer Wolke.“

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